Rabe bläut mir ein, was ich unter gar keinen Umständen und einfach nienienie machen darf, um dann im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, dass es aber sowieso passieren wird… weil doch alle, die je auf Click-Pedale umgestiegen sind, damit zumindest einmal auch einfach umgefallen wären.
Ich erinnere meine Conny, die mir lachend erzählte, dass sie direkt beim Haus, gleich nach zwei Umdrehungen dem Nachbarn vor die Füße gestürzt war, nachdem er sie in ein Gespräch verwickelt und sie daraufhin beim Stehenbleiben ihre Bein-Arretierung vergessen hatte. Auch Rabe – mein Nonplusultra, wenn es um Radfahren per se geht – gibt freimütig zu, dass es ihm selbst so ergangen ist, allen seinen Freunden auch und ich werde sicherlich nicht die Ausnahme bilden. Pah, denk ich mir noch, ich bin doch nicht so patschert!
Quod erat demonstrandum…
Während der ersten Ausfahrten mit den neuen Schuhen passe ich auf wie eine Haftlmacherin. Ich genieße das push-and-pull-Feeling beim Treten, gleite surrend über die Donauinsel, genieße mehr als sonst die Radstraße nach Klosterneuburg. Bremsmanöver nehme ich bedacht vor, etwaige Stopps versuche ich schon von weitem zu erahnen, kaum kommt eine Kreuzung auch nur in Sichtweite, klicke ich schon links aus und bereite mich auf's Stehenbleiben vor. Hah, mich kriegt ihr nicht in euren Club der Gefallenen! Beim dritten Mal wähne ich mich routiniert, klicke wieder rechtzeitig aus und steig aber gar nimmer richtig ab, sondern balanciere lediglich elegant wie eine Rad-Ballerina auf der rechten Schuhspitze, sprich mit dem vorderen 3mm-breiten Hartplastikteil auf der Gehsteig-Schrägkante, während ich auf das Ampelgrün an der Gürtelkreuzung warte.
Menschen im Auto stauen an beiden Seiten, vis-á-vis am Würstelstand herrscht reger Betrieb, im Schanigarten der Bobo-Hütte räkelt sich schönes Publikum beim Macchiato, Fußgänger-Trauben wälzen an mir vorbei, als ein heftiger Windstoß Schirme, Röcke, Hüte, Zeitungen und mich erfasst. Ohne Vorwarnung verliere ich plötzlich das Gleichgewicht und kippe in gefühlter Zeitlupe auf die linke Seite. Das Fallen dauert zumindest so lange, dass ich noch Zeit habe, genau das zu tun, was Rabe mir als „nienienie“-Tipp mitgegeben hatte: Ich reiße das Bein nach oben, weiß im selben Moment „falsche Reaktion!“ und dass keine Zeit für Korrektur bleibt, aufgeben aber auch keine Option ist, ich also den Schuh irgendwie aus der Arretierung rausbekommen muss. Anders formuliert, „ausseqwahn“ heißt das bei uns am Land. Genau um das berühmte Etwas zu spät krache ich mit vollem Gewicht auf das nun weniger elegant nach aussen verdrehte Knie, bleib fassungslos hocken und brüte wie eine „potscherte Antn“ (Ente) auf dem Boden liegenden Rennrad.
Mein gefühltes Autsch flutscht als verbales F*** ins Freie, geschockt lehne ich die helfende Hand eines erschrockenen Passanten ab, grinse mich mit hochrotem Kopf dankend in den Sattel und flüchte über die Straße, bei Spittelau vorbei, runter zum Donaukanal und rauf zum Steg auf die Donauinsel. Instinktiv zieht es mich zu meinem Badeplatz bei den „Nackerten“, denn im Knie pocht es zunehmend lauter, obwohl das Treten keine Schmerzen verursacht, und ich sinke alsbald ins Gras, um die Frühjahrssonne auf nackter Haut zu genießen.
Ins Wasser, marsch!
„Niemals werde ich es zugeben, schon gar nicht Rabe gegenüber, dem erzähle ich das am allerwenigsten!“ schwöre ich mir im stummen Selbstgespräch. Und bin gleichzeitig heilfroh, dass mir nix passiert ist, denn mein Umfaller hätte auch ganz anders ausgehen können – denk ich noch, während ich das gesunde Knie abwinkle und mit Schwung aufstehe, um Richtung Ufer zu starten. Mein linkes Bein baumelt beim Gehen irgendwie eigenartig „haltlos“ nach außen, es fühlt sich heißer werdend an, ich zwinge mich zur Ruhe. Kaltes Wasser hilft sicher, außerdem war ich noch nie Mitte April in freier Natur schwimmen.
Auf den Stiegen ein glitschig-haariger Belag, ich kralle die Zehen und versuche zu fühlen, ob irgendwelches Getier zu spüren ist; das Wasser ist klar, auf der Oberfläche tanzen die Sonnenstrahlen in kleinen silberfarbenen Spiegeln. Das poetische Bild lenkt die Aufmerksamkeit nur bedingt davon weg, dass ich am liebsten hier und jetzt wischerln möchte, um zumindest in irgendeiner Weise „Entlastung“ zu erfahren. Eigentlich ist mir zum Weinen, weil mein Körper schon wieder nicht so reibungslos funktioniert, wie ich es erwarte, erzwinge, für richtig und gut erachte, verdammt nochmal. Meine Gedanken knallen wie Squash-Bälle von der Hirnecke an die Schädeldecke, im Rückspiel an die Stirn, die ich mir reibe bis die Haut zu brennen beginnt. Was soll ich tun, wenn ich nimmer fahren und nimmer gehen kann? Wen alarmieren, um hier weg zu kommen? Am besten niemandem was sagen, schimpfen mich eh, weil ich wieder nicht auf mich aufgepasst hab… und wer kann mich schon abholen? Warum bin ich nicht gleich ins AKH zum Röntgen gefahren? Ah, ich hasse die Unfallambulanz, auch die in Krems war mir schon immer ein Gräuel… wenn hier das Wasser aus der Donau gespeist wird, wie lange vorher war es eigentlich in der Wachau? In welchem Jahr war das eigentlich, dass ich in Wösendorf schwimmen war? Wo sind überhaupt meine Schwimm-Ausweise, und noch viel wichtiger die Pokale vom Handball spielen? Wie es wohl Christian und Birgit geht? Und sind schon die heurigen Verkostungen im Gange? Gut, dass in meinem Kopf meist Zustand herrscht, wie vor der MA48-Sortieranlage… vielleicht sollte ich das einmal im AKH…?
short cut
Ich steige einen Schritt tiefer, die Haare an meinen Unterarmen kämpfen um einen Stehplatz, mein wehes Knie ist mittlerweile vergessen, ich beginne die erfrischende Kühle zu genießen und tauche einer plötzlichen Eingebung folgend ins Wasser. Drei hastige Tempi – das Rausdrehen der Beine beim Brustschwimmen geht gar nicht! – und ich bin wieder am Ufer, humple die Stiegen rauf, zurück zum Lagerplatz, um kurz in der Sonne zu trocknen. Ich schlüpfe rasch in mein Radl-Gwand und trete in die Pedale Richtung Stadt.
Zu meiner Verwunderung funktioniert das Radfahren nahezu schmerzfrei, was zur Folge hat, dass ich bei der Unfallambulanz im AKH im buchstäblichen Sinne nur vorbeischaue und gleich weiterfahre, um mein ebenso bewährtes, wie universell einsetzbares Allheilmittel zu ergattern: The one and only-Schokolade-Eis in der Gelateria Arnoldo. Und nein, als kühlender Umschlag kam es nicht zum Einsatz. Während ich also beglückt am Bananen-Split-Genießen zumindest nervlich gesunde, lausche ich dem telefonischen Vortrag meines Chirurg-Gurus, zugleich ein lieber Vertrauter seit mehr als dreißig Jahren. Daraufhin geht’s zur Apotheke und am nächsten Tag zum Bandagisten, schließlich doch noch zur Ärztin… summa summarum hab ich mir eine gröbere Bänderzerrung zugezogen, konnte aber nach drei Tagen „Hochlagerung“ dank der Sport-Bandage wieder reintreten in die Pedale.
post scriptum
Vor wenigen Wochen stürzte ich noch einmal, weil ich wegen einer jungen Radfahrerin erst eine Notbremsung, in Folge mich selbst hinlegen musste. Unverletzt, denn vor lauter Gift und Galle spucken, blieb keine Zeit für Gedanken an „bella figura“ und etwaige Gegenwehr. Seither habe ich großteils alle Unsicherheit überwunden – und mein anfänglicher Angstgegner Click-Dings ist längst zum geschätzten Ausrüstungspartner geworden. Stur ist, wo ich bin.
Detail am Rande_Tipp
Immer das Rad checken (wenn man sich wirklich auskennt!) oder checken lassen, wenn es einen Unfall gegeben hat – vom „Achter“ bis zum Bremsdefekt bis zu Problemen mit der Gangschaltung kann es geben, selbst wenn das Rad einfach so „dumm umfällt“…