Gestärkt mit flaumiger Eierspeis', frischen Vollkornweckerln, saftigem Hausschinken und duftendem Kaffee in beglückender Menge (also viel) sprinte ich frohen Mutes vor unserem gemeinschaftlichen Aufbruch über die Brücke ins österreichische Radkersburg, um dort keine einzige Servicestation mit „richtiger“ Radpumpe zu finden. Fünfzehn Minuten später rolle ich mißgelaunt und grantig zum Treffpunkt, das Team wartet bereits, im Gegensatz zu mir, das ziemlich entspannt. Gleich darauf sind wir auf dem Murtal-Radweg unterwegs, kleinlaut trödle ich hinten nach.
Ich packe mein schlechtes Gewissen ob der von mir verursachten Verzögerung in stummen Grant, führe einen inneren Monolog der Selbstzerfleischung, weil doch der „Monk in mir“ (zumindest in der hellen Jahreszeit) wenigstens um acht on tour sein will… ist dem nicht so, habe ich supergscheite Brandreden parat, appelliere ans Vorausdenken, predige Equipement-Check und erteile ungefragt Ratschläge. Jetzt seufze ich innerlich händeringend „hätte ich doch nur…!“ in zähneknirschender Besserwisserei.
Plötzlich aus dem Nichts, eine silbrig glänzende Schlange (Ringelnatter?) gleitet ins filzige Grün der Wiese, ich zucke zusammen, der kurze Überraschungsschreck holt mich zurück in meine Präsenz im hier und jetzt. Ich erinnere prompt jenen Satz, den verlässlich auf's Tapet kam, wenn meine Mutter im Strudel von „hätti und wari“ driftete und lamentierend über Verpasstes zur verbalen Wurzelbehandlung mutierte: „Ja, ja, ja… und wenn meine Tant' a Dingserl hätt', wär's mein Onkel.“ Anschaulich brachte mein Papa seine tiefe Aversion gegenüber Konjunktiv-Nutzung rustikal-simpel auf den Punkt.
Den ersten Abschnitt unserer Tagesetappe bleiben wir auf der slowenischen Seite der Mur, links und rechts spiegeln Lacken und kleine Teiche durch das Blattgrün. Mea culpa-befreit wiesle ich wieder frohen Herzens flußaufwärts dahin, inhaliere feuchte Kühle und saftige Frische der Au, über uns steckt ein kitschig blauer Himmel den prognostizierten Hitzerekord-Sommertag fest. Das tiefe Durchatmen macht Sauerstoff-high, die Endorphine wirbeln bereits um den späteren Routenverlauf: „Endlich auch ein bissl rauffahren!“ Ausgiebig kauen werde ich noch später an dieser jähen Sehnsucht, ebenso wie am tiefen Verstehen der Bedeutung „den Tag nicht vor dem Abend loben“.
Im Moment genießen wir die autofreie Strecke und entscheiden uns für einen kleinen Umweg, der schnurstracks zu einer Radbrücke führt. Dort erfreut Aus- und Überblick auf die unverbaute Mur, wir nutzen die Foto-Momente unserer Grenz-Erfahrung bis zur Akku-Drainage.
Richtung Mureck
bald taucht rechter Hand eine ausladende Holzbrücke auf, schon entdecke ich den Hinweis zur Grenzkontrolle, der nächste Stopp. Nun entspannt sich eine Diskussion zur „Ideallinie“, die Mädls wollen lieber auf der steirischen Seite und den Fluss entlang in der Ebene weiterfahren; Rad-Buddy und ich tendieren zu „oben drüber“ im Slowenischen. Während der innerfamiliären Aushandlung klinke ich mich aus und sprinte über die Brücke nach Mureck, wo ich endlich Service-technisch fündig werde (siehe Anhang „Offline-N/nutzen“ - Sport Kolletnigg).
In bestem Sinne optimal aufgepumpt und bis unter die Haarwurzeln motiviert, kurble ich durch die ersten Raufschraub-Kurven, lasse beim „ins Land einischaun“ das Herz jubeln. Ich fahre voraus, finde schnell in meinen Rhythmus, ziehe vorbei an Einzelgehöften und genieße beglückt das befreiende slow travel-feeling, unterwegs in fremder Gegend, die seltsam Vertrautes birgt, was wiederum Irritation evoziert, wofür ich nicht gleich Erklärung finde. Später beim Zsammwarten am Straßenrand schaue ich zurück ins Tal – das zerstörerische Ausmaß der Zersiedelung wird mir schlagartig bewusst. Das sind hier längst keine Dörfer mehr, die über alte Bausubstanz verfügen.
Derweil mich noch ein stummes „wie schade!“ umfängt, brummt mein Handy – RadBuddy ordert mich retour, ich bin am falschen Hügel viel zu weit raufgefahren, also runterdüsen, um gleich darauf im Vierer-Team vereint wieder in die Höhe zu streben.
Der nagelneue Radweg ist zugleich Stichstraße, die zu einer 08/15-Fertighaus-Thujenhecken-Siedlung führt; also zwei Mal schirch, weil noch dazu direttissima hinauf. Die Sonne brennt, ich trete ambitioniert in die Pedale, nach der Anfahrt folgt die nächste Steigung, weiter geht’s durch einen Graben, dann versetzt einen Güterweg bergauf, vereinzelt wieder Neubauten; endgültig „fast oben“ flüchte ich mich an einer Weggabelung in den Schatten einer ausladenden Linde und harre der mitreisenden Menschen.
Unweit knarrt eine Gartentür, ein Grünschnitt-Haufen wackelt auf einer Scheibtruhe, ihre Griffe sind in den Händen eines freundlich grüßenden Mannes. Er schiebt die Kappe aus dem Gesicht. „Wo kommense denn her?“ möchte er wissen. Ich deute mit dem Daumen zurück und ergänze „von da“. Sein breites Grinsen entlockt mir ein Zusätzliches „…eigentlich aus Wien“, woraufhin er eilig auf mich zukommt. „Aber nicht die ganze Strecke mit dem Rad?“, ich nicke, er will wissen, ob das denn mein ganzes Gepäck sei, das ich auf dem Rad montiert habe. Ich bin verwirrt wegen seiner hervorragenden Deutschkenntnisse, rasch weist er mich darauf hin, dass er zugewandert ist, weil das Hausbauen hier einfach günstiger ist. Ich bin baff und weiß darauf keine höfliche Antwort.
Das Team keucht heran und gleich weiter, ich hole auf, berichte über mein Zaungespräch und kommentiere politisch unkorrekt „die sind wirklich überall, die Pie…ngeligen Deutschen!“; ich ernte einen strafenden Blick der Jugend.
Auf Güterwegen und Seitenstraßen geht's unentwegt bergauf, bis wir schließlich auf zugiger Höhe (oberhalb von Selnica ob Muri) in den Schatten einer verwitterten Bushalte-Hütte fliehen. Es ist der ideale Ort, um einen Riegel zu mümmeln – die Aussicht ist schlicht überwältigend! Staunend löse ich die Flasche aus der Halterung, sauge die Landschaft in mich hinein.
Vom „oben sein“ derart beseelt, stapft das Team auf die kleine Anhöhe. Ich überlege, ob ich den Aufstieg barfuß riskiere… das Rad unbeaufsichtigt zurücklassen?… was soll schon passieren, hier „in the middle of nowhere“? Nope, ich winke den anderen zu (siehe Foto) und diskutiere mit mir über die Sinnhaftigkeit vom Umstieg auf Gravel-Schuhe, gelange sehr rasch zur Einsicht, dass es kein entweder-oder gibt, sondern nur ein sowohl-als auch, sprich ein Gravelbike zusätzlich (dann einmal… so irgendwann). Eine halbe Stunde später sausen wir Pfitschipfeil-mäßig runter, Kurve um Kurve ist es ein befreiendes Dahinrollen, vorbei am slowenischen Ort Sentilj wieder „hinein“ ins Österreichische, bekannt als „die Südsteiermark“.
Weites Land in Falten
Wir fahren ultrahart entlang der Grenzlinie, einmal drüben, dann herüben (je nach Perspektive halt) Richtung Westen (für alle, die Karten so lesen wie ich: Von rechts nach links…). Schon bald überkommen mich Heulen und Wehklagen, weil wir an ausgewählten Geheimtipp-Adressen vorbei(!)fahren, ich nur am Selbstmitleid trinke ob der verpassten Chance zur Verkostung von molligem Morillon, grasig duftendem Sauvignon Blanc. Auch in-Beton-gegossene-EU-Agrarfördermittel-Vernichtung, sprich spektakulär ausgebaute Wein-Fertigungsanlagen liegen am Weg, zugeparkt mit polierten Blechkarossen aus der Neigungsgruppe „Penisextension“. Den Winzer erkenne ich von weitem, er ist geschäftig mit Etiketten-Wallfahrern zugange, ich lasse meine Blicke lieber über die Landschaft schweifen, diese nah am Kitsch unfassbar schöne Landschaft! Ich will mich satt trinken am Fluss der Eindrücke, staune über die Intensität dieser strahlenden Umgebung, lasse mich von der Wellenbewegung am Horizont mitreißen, verliere mich in der Betrachtung der Schattierungen im Auf und Ab.
Mit jedem Tritt der Er-Fahrung verebbt die Begeisterung für dasselbige „Auf und Ab“, abschnittsweise ist es nur noch masochistische Plackerei. Entnervt ob der nicht-zu-datretenden Anstiege muss ich immer wieder absteigen, rutsche auf den Schuh-Platten über den Asphalt, während ich uns drei (Rad, Gepäck und mich) absurd steile Nebenstraßen hochschiebe (die Beschaffenheit des Wegenetzes lässt vermuten, dass innige Freundschaften mit Straßendienstlern gepflegt werden müssen, andernfalls die Wintermonate hier oben zum Einsiedler-Dasein verdammen).
Kaum wurde im touristischen Schilderwald der Name unserer Unterkunft entdeckt, schon schießt die Endorphin-Ausschüttung aus allen Rohren und wir mit breitem Grinsen die lange Zufahrt hinunter. Der blecherne SUV-Pürzel eines kreativ Parkenden ragt in den unmittelbaren Zugangsbereich, mir entschlüpft ein „typisch!“, Radkollegin zuckt fragend die Schultern, ich deute auf das niederösterreichische Kennzeichen (PL): „Das steht quasi für holländisches Fahrkönnen… zumindest in meiner Heimat!“ Ich zwinkere schelmisch und setze meine Frage nach den drei dünnsten Büchern nach, stocke abrupt, mein Blick fällt auf eine Katze. Zielsicher steuert diese auf mich zu. Mein Knurren lässt sie zögern, die schwesterlich andere Radkollegin klappt mit langgezogenem „ach wie süüüüüüß!“ zusammen und zieht den Zimmertiger auf ihren Schoß. Ihre Augen stechen auf mich ein, als ich mich in direkter Rede über asoziale Narzissten der Tierwelt und den Nachhaltigkeitsfaktor von Katzenfutter-Erzeugung auslasse. Die überschwängliche Haus-Frau heißt uns professionell freundlich willkommen, wir danken, dass die zeitnahe Reservierung doch noch funktioniert hat, weil eine slowenische Kollegin uns die Telefonnummer verraten hatte… Sie stutzt, fragt nach, schüttelt den Kopf.
Gleich darauf sitzen wir wieder im Sattel und treten vom foischn, österreichischen zum richtigen, slowenischen Dreisiebner rauf; das Team ist mürbe und „mag langsam wirklich nimmer“. Ich kontere mit „forza ragazze“ und ernte ein Lächeln von Radbuddy, der sich zum zigsten Mal ob der Irreführung entschuldigt.
„Nach dem heutigen Tag schlafen wir dort ebenso gut, und beim Frühstück schau ich lieber rüber nach da.“ Er runzelt fragend die Stirn, ich grinse schelmisch: „Wer weiß, was uns erspart bleibt? Um es mit einem alten Kremser Sprichwort zu sagen: St.Pölten und Katze am Morgen bringen Kummer und Sorgen!“
An diesem Abend verwandle ich Wasser in Salzwasser, erst durch Duschen, dann mittels Waschen meines Outfits. Es tropft gleich darauf in der Abendschwüle vom Balkon, wo mir erst richtig bewusst, wie großartig die Aussicht auf dieser Seite ist! Schon bin ich unten und wiesle fotografierend auf der hauseigenen Plattform-ähnlichen Terrasse von einem Eck zum anderen, hinter mir eine Reisegruppe, die sich an der offenbar neu aufgestellten Hl.Georg-Statue erfreut. Und weil diese einen Guiness-Rekordversuch vom Ortsbäuerinnenverband beim Salzteig-Contest evoziert, schlucke ich den Besserwisser-Kommentar (zu Proportionen falsch, zu viel an Farbverbrauch… einfach XL-schirch!) – schließlich will ich die Umstehenden weder kränken noch brüskieren.
„Eindeutig als überdimensionierte Actionfigur gedacht! Jamie Lannister-look-alike im Kampf gegen Haus Tagaryen!“ Sechs Augen schauen mich verständnislos an, was sich nur noch verstärkt, als ich weiter Gift spritze: "Stellen wir eine Kerze ins Fenster, um Brianne of Tarth kennen zu lernen… hol mich hier raus!". Vis-á-vis stummes Stirnrunzeln. Ich japse :„Game of Thrones!?“ pralle gegen eine Wand des Schweigens, langsames Kopschütteln, leise „Pfffhh, das ist doch sooo brutal.“ Die Radkollegin krallt sich hinterrücks eine der Hauskatzen, ich zische "Dracaries!".
Ich vermisse die Gespräche mit meinem Lieblingssohn. Mit spektakulärem Abgang sinkt die Sonne am südsteirischen Firmament, mein müdes Haupt in die Weinkarte: Whitewine is coming.
GemischterAbsatz
@ der-Weg-ist-das-Ziel: Gornja Radgona/ Bad Radkersburg – Trate/ Mureck – Selnica ob Muri – Sentilj – Obegg/ Graßnitzberg – Sulztal – „Dreisiebner“ an der Herzerlstraße (Gegend zw Glanz/ Weinstraße und Spicnik/ Zgornja Kungota) rd. 65km (mit tw mehr als zwanzig Prozent Steigung…)
@ Treffpunkt „bei der Kirche“: Sitzfleisch
Am Mur-Radweg entlang, auf slowenischer Seite: gastronomisches Niemandsland. Empfehlenswert ist es (beim slowenischen Trate), Mureck einen Besuch abzustatten. Im schmucken Zentrum bieten Bäckerei/ Konditorei und gediegene Gasthäuser Einkehr. Wer am Flussufer auf ein Picknick aus ist, findet vor Ort nicht nur einen großen Supermarkt, sondern auch den Bio-Mur-Kostladen/ Genussecke.
@ googln wird überschätzt: Offline-N/nutzen
Der Luftpumpe-Gau am Vortag zwang mich mit halbweichen Schlappen zur „Ersten Hilfe“ in die Werkstatt bei Sport Kolletnigg am Hauptplatz in Mureck. Trotz großem Andrang (Bike-Verleih) begegnet der leitende Rad-Hero meinem Herumzappeln mit Gelassenheit: „Gib her, des haumma glei“, wenig später antwortet er auf mein „was bin ich schuldig?“ nur freundlich: „Ah geh, des passt scho. Waunnst wüst, schmeiss'd wos in die Kaffeekassa!“ Nach 5-Minuten-Boxenstopp hetze ich schon wieder retour auf die Idealroute und dem Team hintennach…
Radwanderer kommst du nach Mureck: www.kolletnigg.com/de
@ fakultativ zu Hausverstand: Mein Tipp
Zugegeben, in Gornja Radgona erlebten wir puncto Übernachtung ein Herzschlag-Finale – abgesehen davon verlief unsere Spontan-Quartiersuche trotz Hauptsaison relativ Stress befreit. Ob dies daran lag, dass wir am quasi-autistischen Beharren „knappest entlang Grenzverlauf ist gleich Ideallinie-Route“ überwiegend durch spärlich besiedelte „Abendgruß-Fuchs und Henne“-Gegenden kamen? Schlagartig anders ist das in der Südsteiermark, wo Sehnsuchtsort und Einschicht keinen Widerspruch bilden, sondern vielmehr Tourismus-USP ausmachen. Ergo empfehle ich weniger Spontan-Talentierten unbedingt eine Zimmerbuchung/ -reservierung im Vorfeld. Ebenso wichtig ist es, die Quartier-Adresse penibel zu notieren, fehlerfrei in den Routenplaner einzugeben, und erst wenn das Ziel definitiv und einwandfrei feststeht, los- bzw hinterherzufahren. Bei südsteirischen Rad-Klettertouren (meine Er-Fahrungen ließen mich die Bezeichnung „Hügelland“ als euphemistisch empfinden) summieren sich Höhenkilometer wie Fettwerte in der Gelateria. Also denk dran: Es gibt einen Unterschied zwischen Hausnamen und Familiennamen, manche Sippen heißen gleich, sind nicht nur weit verzweigt und -schichtig verwandt, sondern auch an verstreuten Gehöften ansässig.
@ aMäuvoi Subjektives: Empirie er-fahren…
Die südsteirische Grenzregion ist kein natürliches Habitat für (m)ein Rennrad, zumindest nicht in der Kombination mit mir oben drauf. Meine zukünftigen Touren in dieser betörend schönen Landschaft werde ich so angehen, wie ich es bei Gourmet-Schlemmereien bevorzuge, nämlich mit vielen „kleineren“ Gängen (zum Beispiel an einem Gravelbike?) und mehr Zeit zum Genuss.
Gerade letzterer kommt sträflich zu kurz, wenn man die Südsteiermark quasi nur auf der Durchreise abhakt. Hier empfiehlt sich zumindest ein "Ruhetag extended" bei maßvoller Weinkost und unmäßiger Lust auf bodenständige Köstlichkeiten. Trotz überteuerter Nebengeräusche gehypter Pop-Winzereien ist sehr wohl der authentische und pure Weingenuss immer noch in der Südsteiermark beheimatet! Am besten nach dem Motto "durch's Reden kommen d'Leut zsamm", Tipps einfach unterwegs erfragen (idealerweise bei entgegenkommenden Radfahrer*innen!).