Unlängst fragt mich eine Bekannte – sie geht regelmäßig laufen und ist noch nie auf einem Rennrad gesessen – warum ich um den Kauf einer Radhose so einen zickigen Eiertanz aufführe. „Falsche Wortwahl!“ pariere ich ihren verbalen Angriff und erkläre mit Augenzwinkern: „Also meine Eier chillen gut geschützt in der Bauchhöhle. Aber meinen edlen Weib-Außenteilen muss ich dank richtigem Material Schutz und Aufmerksamkeit gönnen. Was genau ist daran zickig?“
Ich rede mich in Schwung, schneide ihr gleich wenig höflich den Antwort-Weg ab und frage angriffslustig nach: „So ist es umgekehrt also ein bockiger Eiertanz, wenn Männer bei ihren Radtouren besonders auf die Unversehrtheit ihrer Sakri-gelege aufpassen?“
Schon denke ich mich in eine grantige Grundstimmung: Echt jetzt? Immer noch muss sich „frau“ extra erklären, was für „man“ als völlig normal gilt? Denn in Radfahrer- und selbst weniger Bewegung-affinen Herrenrunden würde eine solche Eiertanz-Kritik nie fallen, auch weil Männer ein unausgesprochenes Einverständnis verbindet, welche Körperregion primär als schützenswert zu gelten hat. Richtig, die Gegend Großhirnrinde kommt in diesem Zusammenhang weniger zur Sprache, wird gerne nachlässig und großräumig umfahren. Erstaunlich eigentlich, denn ungeachtet einer kolportierten, historischen Angst, dass wahlweise der Himmel oder mindestens Kometen auf den Kopf fallen könnten, entwickelte sich doch relativ spät und nur sehr zögerlich eine veritable Schutzhelm-Tradition. Hingegen sind unterschiedliche Formen von Suspensorium-Modellen schon sehr früh bekannt.
Liegt es am gesellschaftlichen Einverständnis, dass alles, was den Mann zum Manne macht, eindeutig thematisiert und benannt werden darf? Ich sehe da einen krassen Unterschied im diffusen Umgang mit dem weiblichen Zwischen-Bein-Land, in dessen Gegenden sich selbst viele Frauen nicht zurecht finden, geschweige denn die Termini zur exakten Benamsung parat haben.
…„was?“ die weit aufgerissenen Augen der Joggerin erzeugen tiefe Runzeln auf ihrer Stirn.
„Wir Frauen, wir sind Komplizinnen, wir leben eine androzentrierte Weltsicht als Selbstverständlichkeit und reproduzieren – frei nach Bourdieu – die männliche Herrschaft mit, weil wir unser Leben aus der Sicht des Mannes denken, der Blick auf uns selbst ist einer durch männliche Augen. Subsumiert auf den Punkt gebracht: Wir sind schwanzgesteuert,“ stelle ich fest, sie stammelt ein zweites „Was?“ und ergänzt mit beleidigtem Unterton „Jetzt red ned so grauslich… du musst doch nicht gleich ungut werden, nur weil mir meine Vagina nicht so wichtig ist wie dir offenbar die Bettung deiner auf dem ultimativen Radhose-Polster!“
Staunend über die Eisschicht, auf der nun meine Stimme dahingleitet, schnaube ich beharrend mit kaltem Trotz: „Lass meine Vagina aus dem Spiel, die ist so wie meine Eier auch im Bauch daheim und schaut dem Ovarien-Tanz über ihr zu. Nur zur Info – meine Vagina wird beim Radfahren überhaupt nicht strapaziert, weil ich ja mit Sattel fahre!“ Währenddessen tippt mein Zeigefinger der rechten Hand energisch an die Stirn und meine linke Hand wandert zum untersten Bauchende und Michael-Jackson-esk zwischen meine Beine. „Acht geben muss ich auf mein Weib im Außen, auf mein hochkomplexes Lustzentrum, das den schönen Namen Vulva trägt, samt empfindlicher Lippen, in die eingekuschelt meine hochsensible Klitoris-Sonne auf den nächsten Aufgang wartet!“ Empört über ihre Ignoranz setze ich meinem Anatomie-Exkurs einen Schlusspunkt: „Die Vagina aber, meine Liebe, mündet ein kleines Stückerl unterhalb ein, sichtbar als Loch, wenn du es so nennen willst, in jedem Fall nix, was durch horizontale Reibung auf dem Sattel schmerzen könnte.“
Die Joggerin ist konsterniert – sie hat mit Vagina eher alles zusammenfassend gemeint, die genauen Bezeichnungen seien ja generell nunmal nicht so geläufig… Was „alles“? Wie „generell“? Warum eigentlich nicht geläufig? Weshalb begnügen wir Frauen uns mit einem nicht näher definierten Muschi-Mythos, mit dadaistischen Andeutungen von „Mumu“ oder vagem „Untenrum“? Mit „da-wo-die-Babies-rauskommen“ oder „dort-wo-der-Mann-sein-Pipi-reinsteckt“ wird Frau-sein schon im Aufklärungsunterricht subsumiert auf den Dienst zur Reproduktion einerseits und/ oder den Lustabbau des Mannes andererseits.
„Ich lasse mich doch nicht auf die Funktion eines Stecksystems reduzieren!“ protestiere ich. Und weise höflich darauf hin, dass ich aus dieser Patriarchen-Konstruktion der ehrvollen Scham und züchtigen Zurückhaltung – nur solange gefordert, solange es um weibliches Verhalten geht! – schon vor langer Zeit ausgestiegen bin. Ich weigere mich, die Welt vom „Mars aus“ zu sehen, sprich aus der männlichen Perspektive, ich bin eine natural born, kraftvoll gereifte Venus (um die Metapher der seichten Buch-Erklärung zu bemühen).
Die toughe Sportlerin tritt peinlich berührt von einem Fuß auf den anderen, derweil sie Antwort auf meine Frage sucht, warum wir in der Sich-auskennen-müssen-Ära des 21.Jahrhunderts nicht einmal die korrekten Bezeichnungen verinnerlicht haben, geschweige denn befreit uns selbst „da unten“ anschauen, in vollem Umfang wahrnehmen, fühlen, spüren wollen. Warum beziehen wir Frauen dank Erziehung und Religion-Stanze die männliche Perspektive, beschneiden uns selbst im Weib-Sein und reduzieren dieses auf jenen Teil, der allzu oft ohne Umwege der männlichen Lust dient?
Man/ frau sollte der Sache lieber auf den Grund gehen, am besten wechselseitg – schaut man/ frau nämlich erst einmal genau hin, dann setzt großes Staunen ein: Die äußeren Geschlechtsteile en détail betrachtet, beweisen die Parallelität in weiblicher und männlicher Anatomie, zwar in unterschiedlicher Größe aber in evolutionär gleicher Bauart. Wer also von einer einseitigen Überlegenheit qua patriarchaler Schöpfungsgeschichte träumt, glaubt wahrscheinlich auch, dass Cunnilingus nur eine irische Fluglinie ist, hat ergo entweder keine Ahnung von einem erfüllend-ausgewogenen Tanz der Geschlechter, oder einfach nur Angst vor machtvoller Naturgewalt, die in weiblichen Sonnen-Explosionen steckt. „Das Leben ist zu kurz, um schlechten Sex zu haben!“ deklamiere ich mit leidenschaftlicher Stimme.
„Pst, wie du redest! Hast du kein Schamgefühl?“ grätscht die Joggerin in meinen Gedankenlauf, ich pariere volley und spiele meine Fragen zurück: „Genau darum geht’s ja, um Gefühl, um Wohlfühlen, um erfüllende und erfühlende Lust, vor allem auch um das Gefühl für sich selbst. Was genau soll daran Scham sein? Wofür habe ich mich zu schämen? Was soll die Scham-Hysterie? Hast du je einen Ausdruck gehört, dass ein Schamsack unterm Zeugungsvater hängt? Nein. Aber den depperten Ausdruck Schamlippen kennt's schon, durch die der Weg zur Gebärmutter führt…? Nur weil wir uns daran gewöhnt haben, ist es noch lange nicht gerechtfertigt, dass meine Lust schamerfüllt beschämend sein soll!“. Sie nickt zögerlich, ihre Wangen glühen vor Verlegenheit, meine vor Wut, während ich ihr den Zusammenhang zwischen Unsichtbarkeit unseres Geschlechts im Körperbewusstsein, folglich die Akzeptanz des Unsichtbar-Seins in der Alltagssprache – Stichwort Binnen-I – somit im gesellschaftlichen Kontext, Beruf, Erfolg, Gehalt… erkläre. Wenn wir nicht lernen „uns“ in vollem Umfang zu benennen, zu akzeptieren, zu sehen, lernen wir nie unsere Bedürfnisse zu artikulieren und für unsere Wünsche, Begehren, Rechte einzustehen. Weil wir unsere Energie und Kraft lieber mit Schämen, Verstecken, Klein-machen vergeuden? Sie meint, dass es ihr aber unangenehm ist, „darüber“ zu sprechen, also über „Untenrum“ so im Detail und überhaupt in unserem Alter…
„Möge die Göttin bei mir sein!“ lache ich, lege meine Hand auf ihre Schulter: „Wir sind die, die Erziehung weitergeben. Wir können ein 'Modl' sein, meint so etwas, wie bei uns daheim die verdepschte Guglhupf-Backform in Oma's Küche genannt wurde, oder wir können versuchen, eine Art Role-Model zu sein. Und ein adaptiertes, runderneuertes Frauenbild weitergeben, das für Selbstbestimmung und selbst-bewusstes Leben auf allen Ebenen steht, weil wir es eben erst heute besser wissen. Das Weib, das ich heute bin, habe ich mir erarbeitet in verschiedenen Frauenrollen – die einen kennen mich, die anderen können mich… gerne auch im Mondschein grüßen. Ich weiß um die Verantwortung für die nächsten Generationen im Sinne von Genderpeace. Und auch wenn ich nicht Role-Model per se bin, meine Devise lautet: wtf!“
Sie schlägt die Augen nieder, nickt und murmelt wieder: „Red ned so grauslich, ich mag das f***-Wort nicht!“ Ich grinse frischlackiert: „wtf steht in meiner Sprachregelung für: we trust in feminism! Da gibt’s noch viel zu tun, wir müssen furchtlose Männer an Bord holen, solche, die Manns genug sind, starke Frauen zu unterstützen. Ich pfeif auf mein Alter, es gibt noch so viel zu tun; und zu genießen vor allem… absofuckinlutely!“
plus:
http://www.vivalavulva.at/2018/08/04/vulvalution/ Welcome to Penisland
Bourdieu, Pierre (1998): Die männliche Herrschaft.
Konrad, Sandra (2018): Das beherrschte Geschlecht.