Als ich die Frage nach meinen bevorzugten Freizeit-Beschäftigungen mit Rennrad fahren beantworte, erkundigt sich die recherchierende Person, ob das denn nicht ein entsetzlich schlimmer Macho-Sport wäre. Reflexartig entschlüpft mir ein „Na geh, nein… naaahja ja…, irgendwie schon…“ und „manchmal bin ich selber… schon auch ein bissl so…“. Ich lache verlegen, als ich zu spät merke, welchen Stuss ich grad zsammrede und setze zum verbalen Bremsmanöver mit einem beherzten „aber“ an…

…um dann erst recht ins rhetorische Lavieren zu kommen. In Körpersprache übersetzt, ist es genau jene Situation, in der ich nicht gleich auf's erste Andrücken die Click-Pedale lösen kann. Schlussendlich geht das Gespräch zwar mit einem Mini-Adrenalin-Stoss aber wenigstens unfallfrei ins Finale.

Ich lasse das Gehörte & Gesagte nochmals Revue passieren, bleibe sinnierend auf der Couch sitzen, starre eine Gedankenblase in die Luft und ergehe mich in Selbstbefragung: Warum schaffe ich es immer wieder einmal, dermaßen denkbefreite Statements abzusondern? Und ja, die Frage hat mich verunsichert und ich sträube mich gegen aufkeimende Gewissheit: Radrennsport ist doch tatsächlich immer noch ein Tummelplatz für Macho-Saurier… oder? Nahhhh… jein… ich antworte mit einem entschiedenen "vielleicht". Denn es gibt sie ja, die bemühten Emanzer und freundlichen Supporter genauso, wie die reaktionären Sexisten und rückständigen Deppen. Doch gibt's die nicht in allen Bereichen, da wie dort? Meint, nicht nur im Sport sondern am Arbeitsplatz, an der Uni, in der Öffentlichkeit, im urbanen Bereich gleichermaßen wie am flachen Land, in Beziehungsnetzen ebenfalls ganz in offener Selbstdarstellung wie – besonders fies – als wirbellose Weichtiere pseudo-gegendered in grünem Tarnanzug…
Ich kann diverse Unterhaltungen und süffisante Wortspenden exakt wiedergeben, erinnere insbesondere Personen, die ungschaut bei jedem Test zu Political Correctness in der Sparte Sexismus mit prallem Konto an Strafminuten und Platzverweisen herausstechen. Jene, deretwegen ich gelegentlich an Box- oder Karate-Training denke, schon allein deshalb, um sie nicht nur theoretisch mit buchstäblicher Schlag-Fertigkeit zumindest kurzzeitig zum Verstummen bringen zu können.
Missmutig muss ich eingestehen, dass mir eine nowendige Grenzziehung viel zu wenig im verbalen Duell gelingt, schleicht sich aggrad mein berühmt-berüchtigtes Mundwerk immer dann in meditativen Stand-by-Modus, wenn ich mit besonders dummen, explizit unfassbar idiotischen Aussagen konfrontiert bin. Derweil ich nämlich alle Energie zur System-Kühlung brauche, damit meine Anstandsbremsen nur ja nicht versagen und ich dank Bauch-heraus-Beschleunigtem aus der Kurve des guten Geschmacks drifte, kann ich nicht mit den letzten Reserven an Beherrschung nach den Versatzstücken einer passenden Formulierung kramen. Und manchmal bin ich einfach nur so baff über das Gesagte als Dokumentation angewandter Dummheit, fehlender Erziehung, nicht vorhandenen Niveaus… des Sagers.

Jetzt denke ich mich in Rage.

Schon werde ich grantig, es kommt Bewegung in meine grauen Zellen. Einzelne Satzfetzen wehen durch leer geräumte Abstellkammerl in meiner Verdrängungsabteilung, drehen ein paar quietschende Runden an den Erinnerungsschienen, sausen in Windeseile in den Vordergrund – gleich dem monatelang vergessenen Wintermantel in Rot, den man erst im November wieder von der Putzerei abholt. Statement für Statement taucht im staccato aus der Tiefe an die Oberfläche meiner aktiven Wahrnehmung; ich erinnere exakt und bis ins Detail Person, Situation, Stimmlage und Stimmung. Manche Sprüche sind zum Teil Jahrzehnte alt, stammen aus meiner Zeit im gelebten Patriarchat „katholischer Taliban“ im Herzland von Pröllistan…
wie lange schon ist das her? Wie lange noch?

Macho-Ansagen sterben nicht aus, sie sind präsent im Beruf, in der Straßenbahn, im privaten Umfeld, im Gespräch mit unterschiedlichsten Leuten.
Zuletzt sogar im Theater als Textergänzung einer modernen Klassiker-Inszenierung, als pars-pro-toto für Frauenverachtung per se. Erfreulich finde ich ja, dass es bei dieser Szene mucksmäuschenstill bleibt im Zuschauerraum, weil das Publikum an diesem Abend sexistische Sprüche nicht goutiert. Ich bin innerlich ein bissl stolz auf all diese fremden Mitmenschen im Moment, die an diesem Abend dabei sind – und wie sie eher verstört auf das Gesagte reagieren. In der Pause wird das Gehörte in kleiner Runde diskutiert. Ich erfahre, dass „unter uns“ – meint unter uns Männern (?) – schon immer wieder über Mädchen gescherzt wird und manchmal eben auch so genannte Frauenwitze erzählt werden… viele Frauen finden das auch witzig, lachen ja mit, denn man(n) meine es im Grunde ja auch nicht böse… also nicht wirklich…

„Hast du gar keinen Humor?“

fragt mich ein UnsereWerte-Autochthoner.
„Ich habe und lebe Humor, er ist Teil meiner Genetik, schützt mich vor Mord im Affekt oder Amoklauf. Und ich bin süchtig nach Lachen – allerdings nach dem Lachen, das in intelligentem Witz steckt, sich nicht aus Demütigung und Herabwürdigung anderer nährt, nicht als gemeine Schadenfreude höhnisch über andere herzieht! Hingegen macht mir eine gevifte Pflanzerei im Ping-Pong-Stil schon Spass! Aber wo ist das Vergnügen, wenn es nur darum geht, erniedrigende Aussagen zu parieren…? Da ist die Lust in der Lustigkeit enden wollend."
Ich schaue dem selbsternannten King of Comedy fest in die Augen und wiederhole nochmals seine Frage zur Existenz meines Humors mit dem dezenten Hinweis, warum wohl Frauenwitze so kurz sind… er: "Wie?", ich mit freundlicher Belehrung: "Nur deshalb, damit sie auch Männer verstehen!", darauf die anderen nun plötzlich weniger Spaßigen: "Ha, ha, na du bist heute aber lustig!". Ich nicke ein trockenes "quod erat demonstrandum" in die Runde und frage nun meinerseits nach Toleranzschwelle in Sachen Lustigkeit, wenn plötzlich mit gleich schlechtem Humor-Kaliber zurückgeschossen wird. Nicht unbedingt Ausdruck gelebter Emanzipation, wenn exakt dieselbe Methode mit umgekehrten Vorzeichen angewendet wird.  
"Genau das meine ich mit meinem Beispiel! Runtermachen und abwerten sind doch kein Ausdruck von Humor, sondern ein Zeichen von mangelndem Selbstwert und fehlender Selbstsicherheit,“ antworte ich erstaunlich ruhig auf das Pseudo-Argument, das mir immer dann vor die Nase gehalten wird, wenn sich ein selbsternannter Lustiger besonders ertappt fühlt. "Niveaulose Frauenwitze und sexistische Anspielungen sind entlarvend und evozieren lediglich die Frage, ob da nicht vielleicht einer ist, der zwar daheim ständig auf den Putz und Brustkorb klopft, während ihn seine Frau mit emotionaler und/ oder finanzieller Erpressung in Schach hält?“ frage ich achselzuckend in die Runde und spreche aus Erfahrung weiter: „Viele Zeitgenossen haben sich doch nie aus ihrer Abhängigkeit zur Mutter befreit, leiden vielleicht auch an deren Fesselung und in der Rolle als Ersatz-Gatte? Den unterschwelligen Selbsthass wegen ihrer Feigheit, nie gegen die übermächtige Mutter aufgestanden zu sein, schmerzt… dafür zahlt die Mutterersatz-Ehefrau, die stellvertretend klein gemacht wird… oder eine so genannte Blunzn, ein Weib halt, die ein unabhängiges Leben führt, das der eine oder andere selbst gerne hätte…? Eigentlich will ich es gar nicht so genau wissen!“


Ich nutze nun die Gelegenheit den Mund zu halten, nippe am Weinglas und erinnere mich an meine Rolle als Vater-Tochter, an die damit einhergehende, frühkindliche Verwirrung über unterschiedliche Signale, die ich wegen meiner an-Sohnes-statt-Erziehung in einer Gesellschaft erlebte, wo ich daheim zwar ordentlich gefordert wurde, gleichzeitig aber als ehrgeiziges Mädchen mit "verpatzter Bub" kommentiert und mein "Zug zum Tor" vor allem belächelt wurde.
Bin ich müde des Kämpfens! Seit mehr als vierzig Jahren die immer gleichen Diskussionsschleifen… ich bin einfach zu alt für diesen Schwachsinn!
Ich denke an einen Ausflug ins weite Land im vergangenen Sommer, wo ich am Rande einer Weinveranstaltung vom Nachbartisch mitanhören musste, dank lautstarkem Herumgebrülle des Erzählers, wie man denn eine angekettete Frau in der Küche nenne… und gleich drauf schrie er triumphierend  "artgerechte Haltung" in die Runde. Ich raunte ihm halblaut zu, dass ihm dise Idee wohl deshalb so gefiele, weil ihm anders jede davonlaufen würde… vor allem forderte ich Lautstärke-Regelung ein, während ich dem Lederhosen-Zniachtl auf der Stelle die Halsschlagader durchbeissen wollte. Ich brachte kein weiteres Wort raus, diente doch alle Denk-Energie meiner Beherrschung.
Ein paar Tage später erzähle ich immer noch empört von dieser "Witze"-Situation. Das mache ich gelegentlich mit "mich wurmenden Aufregern", weil es letztlich auch Gradmesser ist, der mir anzeigt, mit wem ich es zu tun habe: Sag mir, vorüber du lachst und ich sage dir, wer du bist! Ich erinnere noch  betroffenes Schweigen oder ein kurzes "deppert!" der jungen Männer in der Testgruppe, im Gegensatz zum hysterischen Gekicher einer Kollegin, die beifallheischend in die Runde lachte. Offenbar stimmt's ja, dass einige Frauen wenig Selbstrespekt auf dem Altar der Gefallsucht opfern?!

Soviel zu Vorurteilen…

…und der Pflege von Vorurteilen. Dazu könnte ich vermutlich Doktorarbeit und Abhandlungen schreiben, war ich in den vergangenen Jahren an der Flüchtlinge-Front gelegentlich schon mit der einen oder anderen Hardcore-Aussage konfrontiert… Logisch, von beiden Seiten natürlich – also von wackeren Heimatmenschen ebenso wie auch aus den Reihen der Fremdmenschen kamen heftige Sager, denn – Überraschung! – auch "die" Flüchtlinge sind eben keine homogene Gruppe, als die sie für gewöhnlich subsumiert werden. Macho-Weicheier finden sich in allen Nestern.
Lächelnd erinnere ich mich an die erste, gemeinsame Niederösterreich-Ausfahrt im 9-sitzigen Transporter und der Mini-Diskussion, als es um den Platz hinter dem Lenkrad ging.
Er: „I can drive. I'm the driver.“
Ich: „No.“
Er holt noch Luft während ich schon den Schlüssel aus der Arretierung aufklicken lasse und anmerke:
„And I hate these kind of discussions. You sit in the back.“
Wenig später fädle ich das Auto in den Stadtverkehr ein, von den billigen Plätzen aus den Tiefen des Fahrzeugs höre ich nur „grummml grumml…“ , ich finde seinen Blick im Rückspiegel und bringe ihn mit meinem zum verstummen, merke mit dezentem Hinweis an, dass wir gleich die letzte U-Bahnstation passieren, falls er doch noch aussteigen will…
"Ach so schöne Erinnerungen!" feixt mein genetischer Sohn und lächelt sich ein neben mir, freut sich wie damals, dass nun jemand anderer in der "Schusslinie" steht. Er wirft einen teuflischen Jack-Nicholson-look-a-like-Grinser zum Sitznachbarn und fragt in aller Unschuld wie damals:
„Sind wir bald da? Wie lange fahren wir noch?“.
Meine Standard-Antwort seit mehr als zwanzig Jahren ist immer noch dieselbe und lautet auch diesmal: „In zehn Minuten!“.
Daraufhin er wieder unserer Tradition folgend: „Dann spiel jetzt aber was mit mir!“
Wir kichern beide.

Womit er im Versuch seiner Uralt-Provokation freilich nicht rechnet, ist, dass ich heute drauf einsteige und seinem Ansinnen nachgebe.
Ich spreche eine Folge aus der Serie „Big Bang Theory“ an, in der die besondere Beziehung zwischen Rajesh (dem Quoten-Inder) und seinem Hündchen, Cinnemon auf's Korn genommen wird. Howard, sein bester Freund (Quoten-Jude und deshalb in der Dauerfunktion des Stand-up-Comedian?!), zitiert eine Aussage, die die anderen in der Serie unter lautem Gelächter dem geliebten Tier oder der Geliebten, namens Emily zuordnen müssen.
Etwa in der Art: „Dein Haar glänzt heute aber besonders schön… Cinnemon oder Emily?“.
Abgewandelt und nach ähnlichem Muster gestalte ich mein Fragespiel rund um Vorurteile. Ich erkläre Zweck ("neue Männer" braucht das Land!) und die Spielregeln. Und führe ergänzend an, dass ich doch gerne von Vertreter*innen der Herkunftsgesellschaft gefragt werde, wie ich mit all den Macho-Sprüchen und -Aussagen umgehe, die ich im Diskurs mit Flüchtlingen, also aus den Tiefen rückständig patriarchaler Gesellschaften zu hören bekomme… Meist halte ich dann bei solchen Gelegenheiten fest, dass mich meine Herkunft doch ziemlich abgehärtet und entsprechend vorbereitet hat für den Umgang mit selbstherrlich reaktionärem Herr(en)schaftsverständnis. An diesem Tag eine Feststellung, die mein Sohn maximal mit trockenem "Erzähl mir was Neues!" kommentiert. Einige der Edel-Macho-Anekdoten jüngeren Datums kennt er ja gar nicht, mit Vielem verschone ich ihn sowieso lieber, weil er als "neuer", sprich emanzipierter Mann ohnehin nur mit konsterniertem Kopfschütteln auf abgestandene Schimmel-Meinungen reagiert. Oder mir gleich die Leviten liest, im Stile von "Gib dich doch nicht mit solchen Idioten ab!", und ich dann meine Begründung auf das Wort "Feldforschung!" reduziere und er entgegnet "ja selber schuld, was regst dich nicht auf…!?" und ich… eben.

Schon geht’s los und ich lasse die Zitate einzeln vom Stapel – nach jedem lautet die Herkunftsfrage: Heimatling oder Flüchtling?
1: Wenn' s ein Mädchen ist, schau ich in den Kinderwagen gar nicht rein.
2: Männer haben keine Cellulitis, weil das nicht schön ist.
3: So ein Sport ist doch grauslich bei einer Frau… das ganze Schwitzen und die Anstrengung. Wie schaut das denn aus?
4: Einer Frau so viel Geld zahlen? Das geht nur, wenn man sagt, dass die Arbeit von einem Mann stammt.
5: Warum soll eine Frau extra bezahlt werden, wenn sie für einen Mann arbeitet mit dem sie lebt?
6: Frauen sind meistens anstrengend und können richtig auf die Nerven gehen! Aber man braucht sie halt zum f*****!
7: Ich will, dass meine Frau daheim ist, wenn ich nach Hause komme.
8: Dann muss man ihnen halt eine auflegen, wenn sie nicht parieren… es gibt solche, die das brauchen.
9: Wenn ich als Mann sage, dass ich Feminist bin, schauen mich alle an.
10: Falls mein Enkel schwul wäre, wäre es mir lieber, wenn er Krebs hätte.
11: Gemeinsamer Sport ist super. Da kann ich der Frau ständig auf den Arsch schauen ohne dass es auffällt.
12: Vielleicht braucht sie einen Mann… damit sie gesünder ausschaut.
13: Ab einem gewissen Alter bleibt einer Frau im Job gar nichts anderes übrig, als zu tun, was man von ihr verlangt.
14: Eine Frau in deinem Alter kann nicht mehr so wählerisch sein…
15: Ich mag ja jüngere Frauen – für dich würde ich aber schon eine Ausnahme machen.

[9 = Afghanistan, 7 = Iran;
alle anderen Aussagen stammen von Männern aus "unserer" europäischen Werte-Gesellschaft,
aber nicht alle sind Radfahrer…;
jene Sager zum Aussehen und Alter kommen von Männern 50+, die weder Waschbrett-Bauch noch sonstige Model-Qualitäten vorweisen können (was mir persönlich wurscht ist, solange Herz und Selbstwert stimmen – ich will mit dieser Anmerkung nur das Selbstverständnis vom Messen mit zweierlei Maß zeigen, auf die Crux im Widerspruch Selbstbild-Mann versus Fremdbild-Frau hinweisen); und 10 wurde übrigens von einer Frau beigesteuert.]